Interdisziplinäre Kulturarbeit im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von Kunst & Kultur

Wissenstransfer, Vernetzung und Kooperationsvorhaben von/mit Sommerblut Kulturfestival e.V., ALIVE!Kultur e.V., Handiclapped e.V., HalloHallo e.V., Grenzen sind relativ e.V. & Jens Klopp im Auftrag der KMM Hamburg

Der Begriff “Kultur” umfasst so Vieles: “Kultur” findet mitten in der Gesellschaft statt und steht in direktem Bezug zu aktuellen Diskursen und Tendenzen. Die Auseinandersetzung mit der interdisziplinären Kulturarbeit ist deshalb ein wunderbarer Transmitter, um sich komplexen (neuen) Thematiken zu nähern, den Dialog, Erfahrungsaustausch und Perspektivwechsel zu fördern und diese Prozesse in die institutionelle und projektbezogene Arbeit einfließen zu lassen. Durch die Verbindung und den Austausch von unterschiedlichen Akteur:innen und Expert:innen aus der Kulturszene, können diverse Folgeprozesse, Synergien, Multiplikatoren, weiterführende Basisarbeit sowie persönliche und kollektive Mehrwerte auf den Weg gebracht werden.

Das Projekt "Interdisziplinäre Kulturarbeit im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von Kunst & Kultur Wissenstransfer, Vernetzung und Kooperationsvorhaben" setzt sich aus den Modulen Vernetzungsphase, Wissenstransfer und Konzeptarbeit, Erarbeitung eines Handouts sowie der Produktion und Veröffentlichung einer Filmreihe zusammen.

Im Fokus des Projekts steht die Etablierung eines Netzwerkes von unterschiedlichsten Menschen und Institutionen, dass “Kultur” ganzheitlich begreift und sich kritisch mit Entwicklungen und Tendenzen innerhalb der Kulturarbeit auseinandersetzt. Zentrale Intention ist dabei, in einen gemeinsamen Austausch zu treten, gemeinsam aktiv zu werden und neuartige Konzepte und Ideen für eine interdisziplinäre Kulturarbeit zu entwickeln.

In regelmäßigen digitalen und analogen Treffen stellten sich die teilnehmenden Institutionen gegenseitig ihre Arbeit vor: Wie arbeiten die einzelnen Institutionen und wie haben sie sich von Beginn an entwickelt? Wo kann voneinander gelernt, wo an bereits bestehende Erfahrungswerte angeknüpft werden? Wie können Ressourcen geteilt werden? Mit welchen Herausforderungen sind die Kulturakteur*innen konfrontiert? An welchen Punkten werden Entwicklungspotenziale erkennbar?

Im gemeinsamen Dialog haben wir uns darüber hinaus unter anderem mit folgenden Themen auseinandergesetzt:

  1. Die Rolle der Kultur in der Gesamtgesellschaft:
    Kultur wird teils mit Entertainment, Spaß- & Unterhaltungskultur assoziiert, trägt aber darüber hinaus politische Verantwortung als “4. Gewalt”: Sie wirkt auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse ein und kann als Ergebnis dieser betrachtet werden. Aber was ist Kultur überhaupt? Welche Sparten der Kultur gibt es? Wie wirkt Kultur als Medium? Dieses komplexe Thema soll aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden: Wie positionieren sich Kulturschaffende, Künstler:innen, Veranstaltende, gemeinnützige und privatwirtschaftliche Institutionen, Agenturen, Politik, Medien, Publikum, etc.?
  2. Aktuelle Kulturformate:
    Welche Kulturformate sind derzeit überwiegend präsent? Welche interne Produktionen werden aktuell mit Musik, Tanz, Theater, Visuals, etc. realisiert? Welche Automatismen haben sich ggf. etabliert? Wie steht es um Themen Zugänglichkeit und Barrierefreiheit (auch im finanziellen und inhaltlichen Sinne)? Wie wird das Publikum wirklich eingebunden - wo geht es um eine Konsumkultur, die die Zuschauenden als passiver Konsument:innen definiert? Wo liegen Problematiken, welche Ursprünge haben diese - wie können Formate entwickelt werden, die dem entgegenwirken?
  3. Kunst und Kultur zwischen Digitalisierung und analogen Leben:
    Was spricht für, was gegen digitale Kulturformate? Welches Entfremdungspotenzial trägt die zunehmende Verlagerung kultureller Inhalte in den digitalen Raum in sich? Welche Mehrwerte für das analoge Leben können durch digitale Angebote entstehen?
  4. Wirtschaftlichkeit und Finanzierung von Kultur:
    Die Einnahmequellen für Kunst und Kultur beschränken sich einerseits auf Eintrittsgelder und Tresenumsätze, was zu der Tendenz führt, eine Art “Trinkkultur” zu fördern. Andererseits greifen die meisten Kulturakteur:innen auf Sponsoring und Fördergelder der öffentlichen Hand, Stiftungen etc. zurück, die meist projektbezogen und nicht langfristig institutionell zugewendet werden. Welche alternativen Konzepte könnten dem prekären finanziellen Zustand vieler Kunst- und Kulturschaffender entgegenwirken? Welche Forderungen müssen an die Politik getragen werden, um die Situation zu verbessern und eine stärkere ökonomische Unabhängigkeit zu gewährleisten?
  5. Definitionsmacht der Förderinstitutionen über Kunst und Kultur:
    Die finanziellen Förderer kommen überwiegend und zunehmend aus dem “Establishment”. In vielen Förderrichtlinien lässt sich ein neoliberale Narrativ erkennen, das die Verfestigung intersektionaler Kategorien reproduziert und bestehende Hierarchien verfestigt. Dies führt zu der Frage: Wie kann politische oder kritische Kunst entstehen, wenn die Fördermittelvergabe an bestimmten politischen und wirtschaftlichen Interessen anknüpft? Durch die Einbettung von vermeintlich kritischen Inhalten, die meist nur oberflächlich existieren, wird das Medium Kultur verengt, spaltende Identitätspolitiken werden gefördert, sodass von einer “Wohltätigkeitskultur” von “Oben nach Unten” gesprochen werden kann, die mit “Best-of-Practice-Beispielen für die (armen) Behinderten, Migrant:innen, Frauen, etc. legitimiert werden.
  6. Künstlerisches Schaffen unter dem Motto einer “Kultur für Alle”:
    Welche bildungspolitische Ziele impliziert die Forderung nach “kultureller Teilhabe”? Inwieweit besteht die Gefahr der Reduzierung auf soziale Aspekte kultureller Vorhaben und damit einer Instrumentalisierung der Kunst für politische Ziele? Hält die kulturelle Bildung als Kompensationsmittel des Sozialstaatsabbaus, Verwertungslogik in der neoliberalen Struktur her?
  7. Kulturarbeit im neoliberalen Zeitalter:
    Welche Dynamiken werden durch die zunehmende Intervention neoliberaler Eliten aus Wirtschaft und Politik im kulturellen Sektor ausgelöst? Kann von einer Vereinnahmung und Instrumentalisierung künstlerischer Vorhaben durch Akteur:innen aus Politik, Wirtschaft und NGOs gesprochen werden? Wird Kultur mehr und mehr zu Marketing für ein separatives Selbst- und Weltbild? In welchen Frames, Narrativen und generellen Rahmenbedingungen bewegen sich Künstler:innen und Kulturschaffende? Welche Rolle spielen die Medien bzw. die medialen Realitäten? Was bedeuten diese Dynamiken für die freie Kunst und Kultur und wie schlägt sich dies in der Praxis nieder? (Kampagnen, PR, Meinungsmache, Cancel Culture, Identitätspolitik, Expert:innentum, Verwaltungskultur etc.)?
  8. Interdisziplinäre Kulturarbeit - Analyse und Aktion:
    Was braucht Kunst und Kultur angesichts der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von Kunst und Kultur? Welche zielführenden Strukturen, Konzepte und Formate können gemeinsam entwickelt werden? Wie wollen wir zusammenarbeiten, was wollen wir entwickeln?

#diskurskultur - die 7teilige Filmreihe

Um die Projektergebnisse öffentlich zugänglich zu machen, haben wir die 7teilige Filmreihe #diskurskultur veröffentlicht, in der die Akteur:innen aus dem Projekt zu Wort kommen.

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Darüber hinaus wurde ein Handout erstellt, in dem unterschiedliche Artikel, Protokolle u.Ä. der Teilnehmenden Personen und Institutionen zusammengetragen werden. Themen des Handouts sind dabei bspw. Analysen derzeitiger Dynamiken in Kunst und Kultur sowie darauf aufbauende Visionen für die Kulturarbeit und neuartige Veranstaltungsformate.

Ausblick Kooperationsvorhaben

Im Rahmen des Projektes ist ein interdisziplinäres Netzwerk entstanden, dass aus erfahrenen und sehr unterschiedlichen Profilen zusammensetzt.

Der Austausch untereinander hat viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede aufgedeckt. Fragen konnten offen formuliert, Bedürfnisse und Wünsche mitgeteilt und Kritik ausgesprochen werden.

Da es ein sehr intensiver und fruchtbarer Dialog entstanden ist, in dem sich einzelne Kooperationspartner*innen gegenseitig motiviert und inspiriert haben, sind nun einige Kooperationsvorhaben in Planung, die umgesetzt werden wollen.

So wird unter anderem die Realisation eines interdisziplinären Veranstaltungsformates im Sommer 2022, ein nachhaltiges Kulturbündnis sowie dezentrale Kulturnetzwerke angestrebt.

Rückblick auf das Projekt

Um das Projekt final abzuschließen und den wesentlicher Wert des Vorhabens retrospektiv festzuhalten, finden sich hier nun Resümees der beteiligten Personen:

“Jede Inszenierung, jede kulturelle Veranstaltung, legt fest, wer auf einer Bühne erscheinen darf, wer Zugang zum Raum des Theaters bekommt und wer von ihm ausgeschlossen wird. Gesellschaftliche Realität – in ihrer Diversität, ihrem Facettenreichtum, Brutalität und Aktualität – ist noch immer kaum sichtbar vor, hinter oder auf den Bühnen. Um Veränderungen anzustoßen und diese Leerstelle zu füllen, braucht es ganz besonders die Vernetzung und Zusammenarbeit der Kultureinrichtungen. Denn: Grenzen sind eben relativ und wollen überschritten werden. Möglich wird das, wenn wir anfangen uns zu verbinden und gemeinsam Forderungen zu stellen.”

Anna-Mareen Henke, Sommerblut Kulturfestival e.V.

„Es war richtig und wichtig in diesen Zeiten mit anderen Kulturschaffenden in den Austausch zu kommen. Abseits von Projektterminen und im Vordergrund von verschiedensten übergeordneten Themen konnten wir unser Schaffen gemeinsam beleuchten und hinterfragen. Die Sichtweisen und Herangehensweisen von andere haben unser Wahrnehmungsspektrum erweitert und neue Impulse für unsere Arbeit gesetzt, beispielsweise in Bezug auf die angebotenen Kultur-Formate und das Wording in der Außenkommunikation. Folgeprojekte mit dem einen und der anderen Projekt-Partnerin sind sehr wahrscheinlich. Einmal mehr hat dieses Vorhaben gezeigt, wie wichtig der Austausch mit anderen ist. Aus unserer Sicht ist es eine wichtige Aufgabe von Kunst und Kultur, Menschen unterschiedlichster Herkunft, sozialer, kultureller, politischer… Hintergründe und Ansichten durch gemeinsame Erlebnisse in den Austausch zu bringen.“

Thorsten Hesse, Handiclapped Barrierefrei e.V.

“Das Projekt ermöglichte einen Austausch zu Potentialen der interdisziplinären Kulturarbeit, aber auch zu strukturellen sowie aktuellen Herausforderungen die Vereinen und Einzelpersonen in diesem Bereich der begegnen. Insbesondere die Momente, in denen die Fragen mit der konkreten Arbeit der einzelnen Partner des Projekts verbunden wurden, waren bereichernd. So konnte eine theoretische Auseinandersetzung direkt in Bezug gesetzt werden zu kulturellem Schaffen, zu den Räumen die dafür geöffnet und genutzt werden, sowie zu den Menschen, die dabei involviert sind und zu denen die am Ende teilhaben an den Ergebnissen.”

Johanna Padge, Hallo: e.V.

“Grenzen sind relativ leicht zu überwinden und zu erweitern. "Aber nicht für meine Projekte", denke ich oft nach Symposien. Bei einer Tagung bin ich einer von mindestens 100 Teilnehmer:innen mit 200 verschiedenen Projekten. Hier bin ich aber Teil von 5-6[?] Kooperationspartner:innen, die sich regelmäßig treffen und daher nach und nach die Arbeit genauer kennenlernen. Es geht nicht länger um eine Frontalpräsentation einer einzigen Erfolgsgeschichte, denn wir wissen längst, dass es sich lohnt. Dieser Austausch zeigt einmal mehr, dass das niederschwellige Teilen von Hintergrundwissen und das Eingehen auf individuelle Erfahrungen zu mehr wirtschaftlicher, bewusster und konstruktiver Kulturarbeit und Arbeitskultur führt. Es ist leicht quantitativ zu gewinnen, wenn die anderen keine Ahnung haben. Man gewinnt qualitativ mehr und quantitativ nachhaltiger, wenn alle besser informiert sind. Wir lernen nicht nur, dass andere Kooperationspartner:innen vielleicht mit besseren Förderbedingungen, gesellschaftlichem Engagement und besseren Ideen ausgestattet sind. Wir lernen auch konkreter, wie man mit Konflikten konstruktiv umgeht, ohne zu resignieren. Vor allem aber lernen wir praxisnäher von einander, wie viele Lösungen an der Haltung und an vielen kleinen praktischen Stellschrauben liegen, die gar nichts mit Budget oder Personaldecke zu tun haben. Darum hoffe ich, dass es zukünftig mehr solcher Formate gibt, denn sie sind barrierefreier und inklusiver zugänglich als eine prall gefüllte Tüte einer Tagung. Solche überschaubaren Formate zeigen deutlich: Grenzen sind real. Aber sie zu überwinden ist auch für mich/uns relativ realistisch.”

Arne Siebert, Sommerblut Kulturfestival e.V.

“Es war total interessant die unterschiedlichen Projekte kennenzulernen, sich auszutauschen und gemeinsam Neues zu entwickeln. Die Kulturarbeit mit Grenzen sind relativ e.V. hat unseren Verein sehr bereichert. Vielen Dank nochmal”

Roxy Schulz, Alive Kultur e.V.

“Durch die recht heterogene Zusammensetzung der Projektpartner*innen konnte ich viele verschiedene Perspektiven auf die interdisziplinäre Kulturarbeit erhalten. Dabei war es besonders bereichernd, auch Reibungspunkte auszuhandeln und so den eigenen Horizont zu erweitern. Das Projekt hat deutlich gemacht, dass ein Raum für Austausch innerhalb der inklusiven und interdisziplinären Kulturarbeit losgelöst von der Erarbeitung bestimmter Produkte wichtig sind, um die Kulturarbeit nachhaltig weiterzuentwickeln.”

Fabia Mekus, Grenzen sind relativ e.V.

“Die Thematik “Interdisziplinären Kulturarbeit im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von Kunst & Kultur” ist natürlich komplex und umfasst viele Facetten. Was in dem Projekt unter anderem deutlich geworden ist, dass wir uns immer wieder Zeit & Raum nehmen müssen, um zu reflektieren, in welchen Systemen und Strukturen wir interagieren. Es braucht einen problem- und lösungsorientierten Diskurs, der möglichst ergebnisoffen und wertfrei geführt werden sollte. Im Kleinen wie im Großen. Zu Zeiten der individuellen und gesellschaftlichen Spaltung brauchen wir Inklusion statt Separation, Kooperation statt Konkurrenz und gelebten Frieden für alle Menschen auf diesem Planeten. Es muss unsere Aufgabe sein, dass wir uns für Systeme einsetzen, die wirklich für und mit uns Menschen und unserer Mit-Welt sind. Derzeit beschäftigen wir uns jedoch überwiegend reflexartig mit Symptomen, weniger mit Ursachen und Möglichkeiten. Kultur kann ein wunderbares und wichtiges Medium sein, persönliche Entwicklungsprozesse zu unterstützen, für die Bedürfnisse anderer zu sensibilisieren, in den Dialog zu kommen, Denkblockaden aufzudecken, den Perspektivwechsel anzuregen, die Gemeinschaftsgefühle zu stärken und gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu reflektieren und zu unterstützen. Dazu hat Kultur eine gesellschaftspolitische Verantwortung als “5. Gewalt”. Lass uns also ALLE zusammen für einen grundlegenden gesellschaftspolitischen strukturellen Wandel einsetzen und eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung führen, was sich hinter Bewusstsein, Wahrnehmung und den scheinbaren Realitäten überhaupt verbirgt! Let´s do it - auf in eine neue Beziehungskultur!”

Mischa Gohlke, Grenzen sind relativ e.V.

Bei Fragen wende dich gerne an produktion@grenzensindrelativ.de

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