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thikwa

Seit Jahren schon ziert eine Schlafende die backsteinerne Mauer am letzten Absatz des Treppenhauses. Eingebettet in wolkige Weiche schwebt sie auf einem bunten Wandteppich. Es ist ein Strick aus Träumen, an einem Ort, an dem Träume immer Visionen sind. Neuerdings läuten noch weitere Bildnisse, abstrakte, dynamisch-farbende Malereien, das Ende der Stufen ein. Hier, auf dem Plateau vor der Kunstwerkstatt, ist es noch still. Erst wenn die schwere Tür aufgehieft wird, schwillt ein Gewirr aus Stimmen und Materialrauschen hervor. Das Wuseln Vieler, beschäftigt, ja so vertieft, dass Besuch zunächst fast unbemerkt bleibt. In einem der Atelierräume steht Thorsten Holzapfel, einer der Künstler:innen der Thikwa-Werkstatt. Er arbeitet gerade an einer neuen Malerei seiner Serie zur Berliner U-Bahnlinie U8.

Der Leinwandstoff wird durchzogen von perspektivisch steuernden Linien, ebenso wie immer wieder abgeklebten Flächen, die Schicht um Schicht bearbeitet werden. Daneben eine Fotografie des Bahnhofs. In hoher Frequenz huscht sein Blick zwischen Foto zu Bild, während er die Fotografie akribisch auf den Stoff überträgt. Seine Striche bauen Fliesen, Beton, Säulen, leere Gitterstühle. Unverkennbare Attribute der Berliner U-Bahnhöfe. Doch lässt seine so saubere Übertragung des Ortes alles Lebendige aus. Auf seinen Gleisen stehen keine Menschen.

Das Bild glänzt leer. Auch Flecken und Störungen lässt er aus. “Ich mag die Perfektität. Wenn es perfekt ist”, begründet Thorsten sein Vorgehen. Die Ausnahme bilden Werbeplakate, die er in den eigenen Versionen adaptiert. Auf ihnen präsentiert er die Kunst der anderen Künstler:innen der Werkstatt. Er sagt: "Kunst ist, dass man sich selber auch entscheiden kann, was man machen will.”

Seine Worte ziehen sich unübersehbar durch die Räume der Werkstatt. Selbstbestimmung ist die Prämisse eines Ateliers, in dem Menschen mit und ohne Behinderungen arbeiten. Und das sei ein grundlegender Unterschied zu anderen Kreativwerkstätten für Menschen mit Behinderungen, die oft eher im Sinne einer Beschäftigungstherapie wirken. In der Thikwa-Werkstatt wird die Arbeit als künstlerische Profession verstanden.

“Andere Werkstätten sind so langweilig, zu eintönig. Hier kann man mitgestalten. Bei den Theaterstücken kann man jetzt sogar Regie führen”, sagt Hannah Grzimek. In ihren Arbeiten drückt sie Erlebnis und Empfindung über Figuren aus, die aussehen wie die Mickey Mouse. In letzter Zeit sähen diese öfter traurig aus, da es ihr nicht so gut geht. “Kunst ist wichtig. Es befreit”, beschreibt sie. “Meine Kunst ist sonderlich.”

Neben dem Schaffen in der Werkstatt arbeiten die Thikwas auch im Theater Thikwa. In den Stücken spielen, tanzen oder konzipieren sie. “Die Kombination aus Kunstwerkstatt und Theater funktioniert total cool miteinander, ist sehr befruchtend”, beschreibt Susann Weisshaar, genannte Susi. Sie begleitet die Thikwas in kunst-praktischer sowie gemeinschaftlicher Hinsicht. "Nachdem ich sieben, acht Jahre Kunst studiert habe, ist das endlich mal was, das Sinn ergibt”, gesteht Susi ein. Der Ort habe ihr auch in der eigenen künstlerischen Arbeit geholfen, ihr gezeigt, wie Projekte funktionieren ohne sie zu zerdenken.



“Wenn man aus dem Kunststudium kommt, ist alles doch oft etwas abstrakt”, sagt sie. Tatsächlich sei ein Atelier wie dieses hier optimal für das künstlerische Schaffen. Räume, in denen man sich sicher fühlt und in dem man machen kann, was man will, ohne Wertung. Ja, ein Ort, in dem die künstlerische Entwicklung tatsächlich gefördert wird. Und dies wirke sich letztlich nicht nur auf die künstlerische, sondern auch auf die persönliche Entwicklung aus. Arbeit hat eine grundlegende Auswirkung auf das gesamte Lebensgefühl. “Kunst ist eben auch ein sinnvolles Tool in der Begleitung von Menschen.”

Auch Nina Ryba begleitet die Künstler:innen der Thikwa-Werkstatt. Die Gruppenleiterin versteht sich vor allem als Vermittlerin - auch im Hinblick auf die Gesellschaft. Es sei entscheidend, wie die Künstler:innen dargestellt werden und welche Möglichkeit sie hätten, in der Gesellschaft aufzutreten. „Insofern versteh’ ich mich da auch als jemand, der da ein bisschen was voranbringen kann“, sagt Nina. Das sieht auch Thorsten Holzapfel so. „Ich möchte, dass die Leute über Thikwa wissen. Damit Vorurteile abgebaut werden. Viele verstehen nicht, warum wir das alles auch können”, wirft er ein.

Besonders in performativen Arbeiten können sie das oft sehr konkret formulieren. „Auf der Bühne hab’ ich das Gefühl, …da kann ich ein bisschen mehr zeigen, was ich kann. Und was ich aber auch nicht kann. Das Gefühl will ich immer haben“, beschreibt die Thikwa-Künstlerin Deniz Dogan. Während sie von diesem Ort und ihrer Arbeit erzählt, bestimmt eine beruhigende Sicherheit ihr Erscheinen.

Über Hannah’s Gesicht dagegen flimmert rote Euphorie, als sie über das Theater zu sprechen beginnt. Schnell sprudelt sie: „Oh, ich liebe es! Ich wollte das schon immer machen. Jetzt kann ich endlich mal machen, was ich schon immer machen wollte. Ich wollte das schon als Kind machen. Das konnte ich nur nie ausleben und machen wie jetzt hier. Deswegen bin ich froh, dass ich hier drin bin.”

Beide verstehen die Werkstatt und das Theater Thikwa als Ort des künstlerischen Austauschs und Lernens. Damit meinen sie nicht nur die Gesangs- und Bewegungstrainings sondern auch die zahlreichen kollaborativen Arbeiten untereinander oder auch mit Kunst-Kollektiven und Projekträumen außerhalb der Werkstatt. „Wir sind hier zum Arbeiten und zum Lernen“, beschreibt Deniz. “Und dabei sind wir wie eine Familie.“

Zuweilen stehen ihre Arbeitsweisen in diesem Sinne den kunstbetrieblichen Mechanismen gegenüber. Auch in dieser Hinsicht können die immer-neuen Formate, welche die Thikwas in Werkstatt und Theater entwickeln, als eine künstlerische Adaption von etwas verstanden werden, das oft noch gesellschaftliche Utopie ist.